Kulturwandel durch Schriftreform: Kasachstans Rückkehr zur Lateinschrift

Warum die Ablösung des kyrillischen Alphabets als Bruch mit dem sowjetischen Erbe gesehen wird und welche kulturellen und politischen Debatten dieser Schritt auslöst.

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Diesen Herbst fand in Baku ein Treffen der Kommission für ein einheitliches Alphabet der türkischen Welt statt, das von der Organisation Turkischer Staaten organisiert wurde. Ergebnis der Sitzung war ein Entwurf für ein „gemeinsames türkisches Alphabet“ mit 34 Buchstaben. Russische Beamte und Orientalisten bezeichneten dieses Projekt bereits als „türkisches Abenteuer“ und behaupteten, es sei eine Initiative des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, um den Einfluss der Türkei in Zentralasien zu stärken.

Eine Änderung des Alphabets ist mehr als der bloße Austausch von Buchstaben – sie betrifft die gesamte Gesellschaft: von Bildungssystemen und Medien bis hin zu Wirtschaft und Alltag. Daher wird das Thema in den türkischen Republiken heftig diskutiert.

Der offizielle Übergang zur Lateinschrift begann in Kasachstan 2017 unter der Führung von Nursultan Nasarbajew, der anordnete, dass die Verwaltung und Buchproduktion bis 2025 auf die lateinische Schrift umgestellt werden sollten.

Ein Korrespondent hat versucht, die Vorteile der Lateinschrift gegenüber der kyrillischen Schrift für die kasachische Sprache herauszufinden und die möglichen Auswirkungen dieses Wandels auf Kasachstans Beziehungen zu seinen Nachbarn zu analysieren.

Das vierte Alphabet in einem Jahrhundert

Die arabische Schrift kam mit dem Islam nach Zentralasien und blieb dort fast 900 Jahre lang im Gebrauch. Auf dem Gebiet des heutigen Kasachstan wurde sie zwischen dem 10. und 20. Jahrhundert verwendet. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte der kasachische Gelehrte und Linguist Achmet Baitursynov ein modifiziertes arabisches Alphabet, das besser zur kasachischen Phonetik passte. Mit nur 24 Zeichen fand dieses Alphabet breite Anwendung in Schulen und der Presse.

Die Sowjetunion führte jedoch ab Ende der 1920er Jahre eine Kampagne zur „Indigenisierung“ durch, in deren Rahmen nationale Republiken auf die Lateinschrift umgestellt wurden. In den 1940er Jahren entschied Stalin, alle turksprachigen Republiken, einschließlich Kasachstan, zur kyrillischen Schrift zu zwingen, um die Rolle der russischen Sprache und Kultur zu stärken.

Die Kyrillisierung führte zu einem Alphabet mit 42 Buchstaben, von denen viele für die kasachische Phonetik ungeeignet waren.

Die Rückkehr zur Lateinschrift

2017 kündigte Präsident Nasarbajew Pläne an, Kasachstan zur Lateinschrift zurückzuführen. Ziel war es, die kulturellen Verbindungen zu anderen turksprachigen Nationen zu stärken, von denen viele bereits Latein nutzen, wie die Türkei oder Aserbaidschan. Allerdings geriet das Projekt nach Nasarbajews Rücktritt ins Stocken. Gleichzeitig gewann ein von Freiwilligen entwickeltes Alphabet an Popularität, das als praktisch und benutzerfreundlich gilt.

Eine politisch-symbolische Entscheidung

Die Einführung eines einheitlichen türkischen Alphabets wird von Russland kritisch beäugt. Manche Analysten sehen darin eine „türkische Expansion“, während andere betonen, dass es Kasachstan ermöglicht, seine kulturelle Eigenständigkeit zu festigen. Die Diskussion zeigt, wie Sprache und Schrift politisch aufgeladen sein können, insbesondere in post-sowjetischen Staaten, die zwischen Russlands Einfluss und neuen Identitäten balancieren.

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