Afghanische Wirtschaftsdelegation in Astana

Beim Umgang mit der Taliban-Regierung in Afghanistan üben sich die zentralasiatischen Länder in einem pragmatischen Umgang. Kasachstan bleibt politisch auf Distanz, will aber mehr Handel mit dem islamistisch regierten Land treiben.

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Abgrenzen, Ignorieren oder Zusammenarbeiten? Seit vor zwei Jahren in Afghanistan die Taliban an die Macht zurückgekehrt sind, stehen die zentralasiatischen Länder vor der Frage des richtigen Umgangs mit den Islamisten und ihrem Staat. Gemeinsam ist ihnen das Interesse an Stabilität und Sicherheit in der Nachbarschaft, um die Terrorismus-Gefahren einzudämmen. Regelmäßig laden die Länder der Region daher zu multilateralen Gesprächsformaten, um ein gemeinsames Vorgehen in Hinblick auf Afghanistan zu koordinieren. 2022 veranstaltete Usbekistan eine große Konferenz mit Delegationen aus 20 Ländern in Taschkent zum Thema „Afghanistan: Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung“. Kasachstan lud neulich zu Gesprächen der fünf zentralasiatischen Länder und der USA zur Lage in dem ehemaligen Bürgerkriegsland nach Astana.
Vertreter der afghanischen Delegation nach der Landung in Astana
Doch die zentralasiatischen Länder reden nicht nur über Afghanistan, sondern auch mit seinen politischen und wirtschaftlichen Vertretern. Ende vergangener Woche etwa besuchte eine große Delegation afghanischer Wirtschaftspolitiker und Geschäftsleute die kasachische Hauptstadt, um über eine Erweiterung der wirtschafts- und handelspolitischen Zusammenarbeit zu verhandeln. Bei dem „Kasachisch-Afghanischen Business-Forum“ in Astana fanden sich insgesamt 300 Vertreter beider Seiten ein. Empfangen wurde die afghanische Delegation am Hauptstadtflughafen von Kasachstans Handelsminister Serik Schumangarin, der seinerseits im April an der Spitze einer kasachischen Delegation Kabul besucht hatte.

Gemeinsames Handelsvolumen soll sich verdreifachen
Damals hatten sich beide Seiten auf das Ziel geeinigt, das gemeinsame Handelsvolumen von einer auf drei Milliarden US-Dollar zu erhöhen – nachdem es sich bereits gegenüber dem Wert von 2021 verdoppelt hatte. „Nach den Ergebnissen des letzten Besuchs kasachischer Unternehmen in Kabul fanden die ersten Lieferungen unserer Energiegetränke, Mehlprodukte und Mineraldünger statt“, resümierte Schumangarin nun in Astana. Laut Angaben der kasachischen Regierung hat Afghanistan allein im Vorjahr insgesamt 1,28 Millionen Tonnen Mehl aus Kasachstan importiert und war damit der größte Abnehmer in dieser Warenkategorie nach Usbekistan und Tadschikistan.

Im 5+1-Format koordinieren die USA mit den zentralasiatischen Ländern den gemeinsamen Umgang mit Afghanistan.
„Afghanistan ist für Kasachstan ein vorrangiger Mehlmarkt, auf den 70 Prozent der gesamten Mehlexporte entfallen“, hielt Schumangarin in diesem Kontext fest, betonte aber zugleich eine Tendenz hin zu mehr Diversifikation bei den Handelsgütern. „Nach unseren Berechnungen verfügt Kasachstan über ein Exportpotenzial von Lieferungen nach Afghanistan in Höhe von 500 Millionen US-Dollar in der Lebensmittel-, Petrochemie-, Chemie-, Metallurgie-, Leicht- und Maschinenbauindustrie“, so der Handelsminister auf dem Wirtschaftsforum.

Afghanistan für Kasachstan auch als alternative Handelsroute attraktiv
Neben dem Potential Afghanistans mit seinen 40 Millionen Einwohnern als Absatzmarkt für kasachische Waren betonte Schumangarin darüber hinaus auch die Bedeutung des Landes als alternative Exportroute, um auch andere große Märkte zu beliefern. Konkret nannte er dabei den Nahen Osten, Indien und Pakistan, das direkt an Afghanistan grenzt. Eine Verkürzung der Handelsrouten von dort über Afghanistan werde zu mehr Wohlstand für die zentralasiatischen Länder führen. Als Beispiel nannte Schumangarin Kartoffeln aus Pakistan, die in der ersten Jahreshälfte über Afghanistan und damit auf kürzestem Wege nach Zentralasien gelangt seien.

Bereits 2021 hatten sich Usbekistan, Afghanistan und Pakistan auf einen Ausbau der Eisenbahnstrecke Termes – Masar-iSharif – Kabul – Peschawar geeinigt, was Schumangarin für den Handel in der Region als positiv bezeichnete. Kasachstan schätze die Initiative sehr, so der Minister, da sie eine ununterbrochene interregionale Zusammenarbeit zwischen den Staaten Zentralasiens und den Ländern Südasiens und des Nahen Ostens gewährleiste. „Diese Route wird der Dynamik der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen neue Impulse verleihen.“

Nicht zuletzt ging es bei dem Wirtschaftsforum Ende vergangener Woche auch um Zusammenarbeit im Energiebereich, vor allem die Förderung und den Transport von Öl und Gas. Kasachstan und Afghanistan beabsichtigen zudem, die Zusammenarbeit im Banken- und Telekommunikationssektor auszubauen und die Möglichkeit der Umsetzung von Investitionsprojekten in den Bereichen Bergbau, Landwirtschaft und Wasserwirtschaft, Energie, Logistik, Eisenbahn, Gesundheitswesen, Bildung und anderen zu prüfen. Auch B2B-Gespräche zwischen kasachischen und afghanischen Unternehmern standen auf der Tagesordnung.

Kasachstan erkennt Taliban nicht an
Bereits beim Besuch der kasachischen Delegation in Afghanistan im April gab es konkrete Ergebnisse. So verkündete das Außenministerium Kasachstans im Anschluss an die Gespräche, dass eine kasachische Handelsvertretung in Afghanistan eröffnet werde. Außerdem kam das Ministerium der Bitte der afghanischen Regierung nach, dessen Diplomaten zu akkreditieren und ihnen ein Gebäude als Botschaft zur Verfügung zu stellen. Allerdings betonte Ministeriumssprecher Aibek Smarjadow in dem Zusammenhang, dass damit keine Anerkennung der Taliban (in Kasachstan verbotene Organisation) verbunden sei.

Diese Position bekräftigte Kasachstan auch vergangene Woche im Vorfeld des Besuchs der afghanischen Wirtschaftsdelegation. So betonte Vize-Außenminister Kanat Tumysch, dass eine Streichung der Islamisten von der Liste der in Kasachstan verbotenen Organisationen aktuell kein Thema sei (die DAZ berichtete). „Diese Frage werden wir mit der internationalen Gemeinschaft, unseren Partnern und Kollegen koordinieren“, so Tumysch. Auch hielt der Regierungsvertreter fest, dass die in Astana erwarteten afghanischen Delegationsvertreter auf keinen Sanktionslisten stünden. „Die überwiegende Mehrheit der Gäste, die morgen eintreffen werden, sind Vertreter von Geschäftskreisen Afghanistans, also einfache Leute“, so Tumysch.

cstr.

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