Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine ist mutmaßlich waffenfähige Elektronik im Wert von mehreren Millionen Euro aus Deutschland über Zwischenhändler nach Russland geliefert worden. Das berichtet der „Spiegel“ mit Verweis auf kasachische und russische Zolldaten, die ein internationales Recherchekollektiv auswertete.
Im Zentrum der Lieferungen steht laut dem Bericht die Stuttgarter Firma Elix-St. In kasachischen Zolldaten sind demnach Dutzende Mikroelektroniklieferungen des Unternehmens an einen Käufer in Astana vermerkt. Insgesamt soll das Unternehmen laut dem Magazin seit Beginn des russischen Überfalls Waren im Wert von mehr als 800.000 Euro nach Kasachstan verschickt haben. Laut kasachischen Zolldaten lieferten zudem eine Firma aus Berlin und ein Unternehmen aus Hessen Mikroelektronik im Wert von rund 1,6 Millionen Euro an den kasachischen Händler.
Wie aus russischen Zolldaten hervorgeht, soll der kasachische Zwischenhändler zahlreiche Lieferungen weiter nach Russland transportiert haben, schreibt das Magazin. Darunter finden sich auch Bauteile, die für den Einbau in Waffensysteme geeignet sind – etwa Mikrocontroller des Schweizer Halbleiterproduzenten „STMicroelectronics“. Experten des Londoner Royal United Services Institute (Rusi) fanden ähnliche Chips derselben Serie in abgeschossenen Exemplaren der russischen Aufklärungsdrohne Orlan-10.
Deutschland schlägt „Nicht für Russland“-Klausel vor
Das Unternehmen Elix-St. wies auf Nachfrage den Vorwurf der Umgehung von Sanktionen von sich. Der kasachische Käufer der Elektroniklieferungen habe eine zivile Verwendung der Bauteile zugesichert. Elix-St. habe nichts von einer Weiterleitung nach Russland gewusst. Es habe auch keine Möglichkeiten gegeben, „dies nachzuprüfen oder zu kontrollieren“. Elix-St. verweist auf ein von dem Zwischenhändler 22 vorgelegtes „End-User-Zertifikat“: Die Teile seien für private Kameras gedacht gewesen. Auch sogenannte Field-Programmable Gate Arrays (FPGAs) der US-Marke Xilinx, Mikrochips zur schnellen Verarbeitung von Signalen, lieferte Elix-St. nach Kasachstan. Laut Rusi finden sie in zahlreichen russischen Waffensystemen Verwendung. Iskander-Raketen sollen sie helfen, Ziele genauer zu treffen. Die Chips stecken auch in Ch-101-Marschflugkörpern. Elix-St. teilte laut dem Bericht mit, auch diese Bauteile seien für private Kameras gedacht gewesen.
Einen auffälligen Export-Boom hat indessen das Statistische Bundesamt verzeichnet. Deutsche Unternehmen liefern demnach deutlich mehr Waren in Ex-Sowjetländer wie Kasachstan, Georgien oder Kirgisistan. Das Statistische Bundesamt verzeichnet für das erste Quartal 2023 eine Zunahme von bis zu 949% des Exportvolumens im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Zu den meist gehandelten Gütern aus Deutschland in diese Region zählen vor allem Kraftfahrzeuge und Maschinen. Expertinnen und Experten vermuten, dass die Geräte nicht in den angegebenen Zielländern bleiben, sondern weiter nach Russland wandern. So werden Sanktionen umgangen.
Um es der Wirtschaft zu erschweren, die Russland-Sanktionen zu umgehen, will die Bundesregierung Unternehmen künftig stärker in die Pflicht nehmen. Wie es aus EU-Kreisen heißt, unterbreitete der deutsche Botschafter bei der EU bei Verhandlungen in Brüssel Anfang Mai einen entsprechenden Vorschlag. Demnach könnten sich Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern künftig beim Kauf von bestimmten Waren in der EU vertraglich verpflichten müssen, diese später nicht nach Russland zu exportieren. Zudem sollen die Importeure auch schriftlich versichern, diese Waren nur dann an andere Unternehmen weiterzuverkaufen, wenn diese ebenfalls eine „Nicht für Russland“-Klausel unterschreiben.
Quelle: ntv.de, mau