„Unendliches Potenzial“: Deshalb will Deutschlands Wirtschaft in Usbekistan investieren

Präsident Shavkat Mirziyoyev ist für zwei Tage auf Staatsbesuch in Berlin. Vor einem Treffen mit Kanzler Olaf Scholz ging es um Handel und Investitionen.

0
132

Die Aufregung ist groß in der usbekischen Botschaft in der Perleberger Straße in Moabit. Journalisten und Hunderte von Vertretern aus Wirtschaft und Ministerien kämpfen um die besten Plätze im großen Botschaftssaal. Wie bei einer Vorlesung zu Semesterbeginn müssen mehrere Dutzend Gäste beim Deutsch-Usbekischen Business-Forum stehend zuhören. Oft wird gefragt: „Ist hier noch ein Platz frei?“ Die Konferenz verdeutlicht eines: Den deutsch-usbekischen Wirtschaftsbeziehungen sind keine Grenzen gesetzt.

Es ist ein Meilenstein in den bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und Taschkent. Shavkat Mirziyoyev, der Präsident von Usbekistan, kommt zu einem Staatsbesuch nach Deutschland. Mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz wird er sowohl politische als auch wirtschaftliche Gespräche führen. Zudem will Mirziyoyev, der seit 2016 im Amt ist und seinem Land eine Reformkur verschrieben hat, in Deutschland für eine vertiefte Zusammenarbeit werben.

Wirtschaftskonferenz für die Zukunft
So auch am Dienstagmorgen in der usbekischen Botschaft. Über 15 Wirtschaftsverträge unterzeichneten die deutsche und die usbekische Seite. Unzählige Male fallen die Begriffe „Potenzial“ und „Chancen“. Die Abkommen sind vielfältig und sollen die Beziehungen auf Jahre hinaus weiter stärken. Von Absichtserklärungen im Energiesektor über Abkommen zur Fachkräfteeinwanderung bis zum Kultur- und Sprachaustausch.

Man merkt, dass Deutschland einerseits in Usbekistan investieren will, andererseits seinen geopolitischen Einfluss in der Region in Anbetracht des russischen Angriffskrieges ausbauen möchte. Auch der „systemische Rivale“ China hat vielfältige Interessen in Usbekistan. Das zentralasiatische Land wiederum hat reiche Vorkommen an Erdgas, Uran und seltenen Erden.

Der stellvertretende Premierminister von Usbekistan, Jamshid Khodjayev, spricht in einer Rede von einem „noch nie dagewesenem Level an Kooperation“ zwischen den beiden Staaten. „Durch vertieften Handel soll die Zusammenarbeit in allen möglichen Bereichen ausgeweitet werden“, sagt Khodjayev. Zunächst soll es also um Wirtschaft, Wirtschaft und noch mehr Wirtschaft gehen, nach dem Motto „Annäherung durch mehr Handel“.

Doch hat das Prinzip nicht seit Februar 2022 schwere Kratzer bekommen? Schließlich betonten über zwei Jahrzehnte Größen aus Politik und Wirtschaft in Deutschland, dass vertiefter Handel mit Russland das Land auch näher an den Westen bringen werde. Ein fataler Trugschluss, wie sich im Nachhinein zeigte.

Das Wort „Russland“ fiel auf der Veranstaltung nicht einmal, lediglich über die „schweren geopolitischen Zeiten“ sprach der stellvertretende Premierminister und setzte sich für mehr „multidimensionale Freundschaften und konstruktiven Dialog“ sowie „enorme Potenziale“ ein.

Die großen Potenziale Usbekistans
Dabei hat Usbekistan in der Tat große Möglichkeiten, auch im westeuropäischen Diskurs stärker wahrgenommen zu werden. So wächst die usbekische Bevölkerung rasant, 2040 sollen über 50 Millionen Menschen in dem Land leben, das Durchschnittsalter liegt bei etwa 27 Jahren. So jung ist kaum eine Bevölkerung in Europa. Diese jungen Menschen suchen Arbeit, auch in Deutschland. „Von einer Zusammenarbeit würden beide Seiten profitieren“, hört man von einigen Delegationsteilnehmern.

Zudem hat Usbekistan eine besondere Geografie. Samarkand, Buchara und Chiwa waren schon in der Antike bedeutende Handelsorte der Seidenstraße. Da kommt es nicht überraschend, dass Usbekistan seine Chancen als Seidenstraße der Neuzeit wiedererkennt. Die günstige geostrategische Lage zwischen Ost und West und Nord und Süd sieht man jedoch auch in China, Indien, der Türkei und weiterhin auch in Russland.

Die Statistik, die bekanntermaßen nie lügt, verdeutlicht zudem, dass Deutschland nicht in der Poleposition ist, was die Wirtschaftsbeziehungen zu Usbekistan angeht. Nur 2,8 Prozent der usbekischen Importe kamen 2021 aus der Bundesrepublik, wobei man unter den EU-Mitgliedstaaten immerhin führend ist. Es gibt großen Aufholbedarf: Russland lag mit 22,8 Prozent an erster Stelle, gefolgt von China mit über 20 Prozent und Kasachstan mit 11,4 Prozent. Danach kommen Südkorea, die Türkei und Turkmenistan.

Constructive exchange today with ???????? Dep Foreign Minister Fazilov, ahead of the visit of ???????? Pres Mirziyoyev in Berlin. Discussed bilat. cooperation, regional affairs and ???????? war against ????????, including on circumvention of sanctions against ????????. Rahmat! @BotschaftU @uzbekmfa pic.twitter.com/GwvVtjMKre

— Matthias Lüttenberg (@GERonOstpolitik) April 21, 2023
Von der Solarenergie bis zum Klimawandel
Damit Deutschland den Anschluss in Zentralasien nicht verliert, plädiert Michael Harms, Geschäftsführer vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, für stärkere Investments in dem Land. „Von der Solarenergie bis zur Logistik gibt es große Möglichkeiten in Usbekistan“, sagt er. Auch in Fragen der globalen Nachhaltigkeit und des Klimawandels wird Usbekistan eine zentrale Rolle spielen.

Immerhin: Die Zahl deutscher Unternehmen habe sich in wenigen Jahren auf über 200 verdreifacht. Viessman, Claas, MAN und Knauf und Papenburg sind schon vor Ort, viele weitere werden wohl in den kommenden Jahren folgen, wenn Wirtschaftsreformen weiter angepackt werden und sich das Geschäftsklima in Usbekistan kontinuierlich verbessert. Demnächst soll es sogar laut Pressemappe der Schneider Group eine Direktflugverbindung zwischen Berlin und Taschkent geben, in die usbekische Hauptstadt. Die Airline Wizzair soll dann der Beförderer sein.

Ein deutscher Bankier, der anonym bleiben möchte, ist auf der Veranstaltung hocherfreut über den „neuen zentralasiatischen Tiger“. Seiner Großbank seien Geschäfte mit Belarus und Russland in den vergangenen Monaten weggebrochen, Usbekistan und Kasachstan seien nun seine Steckenpferde. Auch er redet über das „schier unendliche Potenzial“ in der Region.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein