„DU BIST SCHON ÜBER 20 UND VERSUCHST NOCH WITZE ZU REISSEN“ – INTERVIEW MIT KASACHISCHEN COMEDIANS

Nicht nur in Europa wird Stand-Up immer populärer. Auch in Kasachstan erfreut sich die Szene immer mehr Zuschauer und Künstler. Anlässlich des ersten kasachstanischen Stand-Up-Festivals führte die Online-Zeitung The Steppe ein Interview mit drei Comedians. Wir übersetzen es mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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Vom 16. bis zum 18. September fand das erste kasachische Stand-Up-Festival in Almaty statt. Drei Tage lang traten Comedians aus ganz Kasachstan und aus weiteren Ländern Zentralasiens in Bars, Kinos, Konzerthallen und Stand-Up-Bühnen der süd-kasachstanischen Metropole auf.

Abaı Jenesov, Aida Asaýbaeva, Muhamed Saýdegerov, die auf dem Festival den Preis für das „beste Team Kasachstans“ gewannen, sprechen im Interview mit The Steppe über die Entwicklung der kasachstanischen Komedieszene, unglückliche Pointen und was sie neben ihrem Comedian-Dasein beruflich machen.

The Steppe: Erzählt mal, wie ging das denn alles los?

Abaı: Schon als Kind wollte ich Leute zum Lachen bringen. Deshalb habe ich mich mit 18 im KVN-Comedy-Club unserer Uni angemeldet (KVN, der „Club der lustigen und einfallsreichen“, ist eine in der Sowjetzeit entstandene Comedy-Talentshow, Anm. d. Ü.) Unser kleines studentisches Künstlerkollektiv spielte auf hohem Niveau, wir gingen auf Tour durch Russland.

Wie viele KVN-Absolventen meinen, nachdem sie es zu nichts gebracht haben: „Es fehlte nur ein klitzekleines Stück, dann hätten wir den russischen Fernsehkanal für uns gewonnen.“

Im Jahr 2020 wurden mit Beginn der Pandemie die Grenzen geschlossen, die Sponsoren sprangen ab und ich begann nach Alternativen zu suchen. Ich wusste, dass es in Astana eine kleine Bühne gab, wo ich auftreten und ein paar Witze ausprobieren konnte. Ich trete quasi seit 2020 regelmäßig auf.

Aida: Bei mir fing es an, da war ich grade 18 und Erstsemestlerin. Damals gab es in Astana meines Wissens noch keinerlei Stand-Up-Bühnen. Mit ein paar Kumpels von der Uni haben wir ein paar Auftritte organisiert. Ich wollte einfach mal etwas Neues ausprobieren.

Sehr auch unsere Videoreportage: Worüber lacht man in Zentralasien?

Muhamed: Von Stand-Up, habe ich, wie viele andere auch, zum ersten Mal über den Fernsehsender TNT gehört. Irgendwann bin ich auf Instagram auf einen Post mit einer Auswahl Bücher gestoßen. So entdeckte ich die „Comedy Bible“ von der amerikanischen Comedian Judy Karter. Bis dahin hatte ich keine Ahnung davon, dass es im Stand-Up eine Art Kanon, Regeln, Techniken und allerlei Kniffe gibt. Ich las also das Buch und ging zu einem Open-Mic, um zu schauen, wie hoch dort das Niveau ist. Danach hab ich die Sache erst mal hingeschmissen. Erst im Februar, habe ich nochmal einen Versuch gestartet. Ich bin jetzt also seit einem halben Jahr dabei.

Wer sind eure Vorbilder? Wer hat euch inspiriert?

Abaı: Ich hatte keine Vorbilder. Aber als wir als Gruppe zusammen aufgetreten sind, gab es Momente, in denen wir unterschiedlicher Meinungen über einige meiner Witze waren. Letztendlich haben persönliche Geschmäcker und die Konkurrenz mich zu meinem Soloprogramm motiviert.

Aida: Mein Vorbild war (die russische Stand-Up Comedian, Anm. d. Red.) Julia Achmedowa. Sie war damals die einzige Frau im russischen TV-Stand Up und da dachte ich: „Das will ich auch!“

Muhamed: Eigentlich niemand. In meiner Kindheit meinten alle, sie würden mich im Leben nicht mit einem Bürojob sehen, viel eher als Künstler oder Schauspieler. Dadurch kam es mir überhaupt erst in den Sinn, Stand-Up mal auszuprobieren und diese Worte spornen mich auch zu Bühnenauftritten an.

Wie sieht’s aus mit der Uni? Habt ihr schon einen Abschluss?

Abaı: Ich studiere Physik. Mit diesem Abschluss kann ich jederzeit in die Forschung oder die Lehre einsteigen. In ein paar Bits erzähle ich auch davon, dass ich Physiker bin und mein Masterstudium noch irgendwie abschließen muss. Aber nach diesem Jahr bin ich endlich frei und kann mich voll und ganz dem Stand-Up widmen.

Aida: In einem halben Jahr bin ich mit dem Bachelor fertig. Erst war ich in sozialer Arbeit, dann in Jura eingeschrieben. Meinen Abschluss mache ich jetzt aber doch in Geschichte auf Lehramt.

Muhamed: Ich habe an drei chinesischen Wirtschaftsuniversitäten studiert. Erst in Shang-Hai, dann Peking und dazwischen noch in Zibo – dort habe ich auch Chinesisch gelernt.

In welchen Städten tretet ihr am häufigsten auf?

Abaı: Bis jetzt nur in Kasachstan: in Kókshetaý, Qaraǵandy, Almaty, Öskemenund hoffentlich bald auch in Qostanaı und Shymkent. Dort gibt es seit Kurzem einen Stand-Up-Club. In Kókshetaý und Qaraǵandy hat mich das Publikum ganz herzlich empfangen. Letztes Jahr wollte ich auch nach Russland, habe es aber nicht geschafft. In Astana trete ich meistens in Cafés oder Bars auf. Hin und wieder auch auf Betriebsfeiern, fürs Taschengeld.

Aida: Ich trete meistens bei Open-Mics in Astana auf. Ein paar Mal war ich auch in Qaraǵandy, das Publikum ist dort einfach der Hammer.

Muhamed: Ich bin meistens in irgendwelchen Bars in Astana.

Was denkt ihr, wird sich die Stand-Up-Szene in Kasachstan weiterentwickeln?

Abaı: Sie entwickelt sich eigentlich ständig. Obwohl ich finde, dass es hier recht wenige Comedians gibt. Großzügig berechnet vielleicht 200 oder 300 im ganzen Land. Zahlenmäßig sind wir da anderen Formen der Kunst klar unterlegen. Aber so langsam entstehen immer mehr Möglichkeiten für Auftritte. Ich merke das schon bei mir selbst: Fast jeden Tag kann ich irgendwo auftreten und das, obwohl ich in keinem Stand-Up Projekt permanenter Teilnehmer bin. 2019 gab es pro Woche noch eine einzige Veranstaltung. Der Eintritt war kostenlos und im Publikum saßen nur ein paar Freunde der Comedians und Organisatoren. Verdient hat man damals noch nichts.

Aida: Ja, die Szene entwickelt sich auf jeden Fall, ein Glück! Jedes Jahr kommen neue Comedians dazu. Ich denke, wir könnten bald ein neues Zentrum für russischsprachige Comedy in den GUS-Staaten werden, auch wenn wir den kasachischsprachigen Teil der Szene nicht vergessen dürfen. Hut ab an die kasachischsprachigen Stand Up Comedians! In Almaty und Astana kann sich in Sachen Comedy-Industrie am meisten tun. Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt selbst besser als Russland sein werden!

Muhamed: Ja, auf jeden Fall, wir haben in den letzten Jahren riesige Schritte gemacht. Dieses Jahr gab’s einen Wahnsinnsschub. Ich würde sagen, das war das Jahr des kasachischen Stand-Ups.

Wie sehen das eure Eltern, dass ihr jetzt Comedians seid?

Abaı: Sie waren so sehr dagegen. Ich sage immer, ich hab den „Krieg gewonnen“. Das liegt an der sowjetischen Denkweise. Sie wollten, dass ich studiere, mir mit dem Abschluss etwas aufbaue und eine Familie gründe. Gerade wenn ich nachts spät heim kam oder mal wieder wegfuhr, fiel es meinen Eltern schwer, es zu akzeptieren. Als es dann professioneller wurde und ich auch mehr Geld verdiente, hat mein Vater meine Arbeit zum ersten Mal gewürdigt. Auch wenn ich mein Physikstudium natürlich nicht aus dem Blick verlieren soll. Jetzt stellen sich meine Eltern nicht völlig quer. In meinem Publikum will ich sie trotzdem nicht sehen.

Aida: Sie unterstützen mich, auch wenn Mama zuerst dachte, ich hätte sie nicht mehr alle. Sie sagte „Du bist schon über 20, Du musst Kinder kriegen, eine Familie gründen. Du versuchst aber Witze zu reißen“. Ganz am Anfang hat mich aber Papa unterstützt. Mama hat das Stand-Up erst ernst genommen, als ich mein erstes Geld damit verdient habe. Mittlerweile fiebern sie bei jedem Auftritt mit. Als ich zum Comedy-Festival nach Almaty gefahren bin, haben sie mich jeden Tag angerufen. Was für eine Unterstützung! Dafür bin ich ihnen so dankbar.

Muhamed: Mein Vater stemmt sich nicht aktiv dagegen, er sieht es aber auch nicht als richtigen Beruf an. Mehr als eine Art Hobby. Seiner Meinung nach, soll ein Mann sein eigenes Business eröffnen und etwas gescheites lernen. Mama freut sich dagegen für mich. Sie wollte mich schon immer auf der Bühne sehen.

Was macht ihr neben dem Stand-Up?

Abaı: Ich arbeite als Physikdozent an der Eurasischen Nationalen Universität Astana. Das gefällt mir auch ganz gut, aber ich habe auch keine Wahl, wenn ich mein Stipendium behalten will. Meine beiden Tätigkeiten, Stand-Up und Dozieren, ergänzen sich gar nicht schlecht. Morgens in der Vorlesung, abends auf der Bühne. Die Lehre ist für mich gleichzeitig auch eine finanzielle Absicherung.

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Aida: Momentan leite ich den Verkauf von Handbüchern der Stadtverwaltung. Es ist sicher nicht verkehrt, aber nicht das, was ich auf lange Sicht machen will. Parallel arbeite ich noch in der Schule. Immerhin befinde ich mich ja auch noch in meiner Ausbildung zur Geschichtslehrerin. Ich hoffe, dass ich mein Leben lang etwas mit Lehramt zu tun haben werde.

Muhamed: Ich bin Großeinkäufer in einer Lebensmittelfirma in Astana. Dort kaufe ich Grieß ein und sorge für die Verarbeitung.

Könnt ihr euch an euren besten Witz erinnern? Oder an einen, der völlig in die Hose ging?

Abaı: Von den besten fällt es mir schwer, einen auszuwählen. Aber der unglücklichste Moment passierte auf jeden Fall beim „Big Money Mic“ Wettbewerb. Ich hab davon erzählt, dass mein Vater sowjetisch erzogen wurde. In meiner Kindheit hat er mir statt Spielzeug immer Knete geschenkt. Er sagte immer: „Wenn du mit Soldatenfigürchen spielen willst, mach sie dir halt selbst. Wenn du Krieg spielen willst, dann bau dir eben ein ganzes Sturmgewehr.“ Jetzt bin ich 27 geworden und mein Vater hat einen ganzen Laster voll Knete bestellt!

Der Witz kam echt gut an. Aber alle Comedians, die nach mir dran waren, haben meinen Witz zum Auftakt ihres Auftritts erst mal durch den Kakao gezogen. An sich war der Witz nicht schlecht, eher die Situation, in die er mich gebracht hat.

Muhamed: Am besten funktioniert hat bei mir dieser Oneliner hier: „Unsere Verfassung ist wie die Geschichte von Harry Potter – Das Buch ist besser als die Verfilmung!“

Was ist euer größer Traum, den ihr euch im Stand-Up erfüllen wollt?

Abaı: Also mein größter Traum, ist, wie bei jedem Comedian, einen Solo-Auftritt bei Youtube hinzulegen. Und dann natürlich bei Netflix oder im Fernsehen bei TNT. Von TNT war ich schon zu Studienzeiten besessen – ich muss mindestens einmal dort auftreten, um endlich zur Ruhe zu kommen.

Aida: Mein eigene Solo-Show zu haben, bevor ich 30 werde, und daran viel Geld zu verdienen.

Muhamed: Dass irgendein junges Pärchen in Astana, das bei der Wochenendplanung vor der Wahl zwischen einem Kinobesuch, einem Restaurant, einem Pferdeausflug und das Stand-Up von Muhamed Saýdegerov steht, sich eben für mein Konzert entscheidet.

Wie denkt ihr euch eure Witze aus?

Abaı: Es gibt kaum eine uninteressantere und langweiligere Arbeit in meinem Leben, als mit versteinertem Blick auf meinem Laptop herumzutippen.

Wenn ich Witze schreibe, habe ich da mein ganz konkretes Schema: Erst stelle ich irgendein Thema vor, erzähle dann, warum dies oder jenes problematisch ist und wie ich dazu stehe und ziehe daraus einen Schluss. Von Anfang bis Ende streue ich hier und da Witze ein. So verdichtet sich der ganze Erzählstoff.

Aida: Also dabei fehlt es mir als Comedian echt an Disziplin. Ich bewundere meine Kollegen, die jeden Tag neues Material schreiben. Aına Musina ist da ein großes Vorbild für mich. Ich sehe sie nie ohne Laptop oder Schreibblock. Ich dagegen schreibe meine Witze eher dann, wenn die Inspiration kommt. Manchmal passiert das auch hinter der Bühne, kurz vor meinem Auftritt.

Muhamed: Ich bin noch ziemlich neu in der Szene, deshalb habe ich noch keine bestimmte Routine. Wenn mir ein Witz in den Sinn kommt, halte ich ihn immer erst mal in meinen Handy-Notizen fest, um ihn nicht zu vergessen. Ohne das Aufschreiben geht’s nicht! Zu Hause schlachte ich meine Idee dann richtig aus. Ich kann mich an einige Momente erinnern, wo ich am Staubsaugen oder Schwimmen war und plötzlich kam mir eine Idee. Man könnte sagen, dass ich die Inspiration oft finde, wenn ich mich bewege. Am Schreibtisch mit Stift und Block – keine Chance.

Das Interview führte Aıana Seıthan
The Steppe

Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat

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