Nein, dieser Lichtkegel war nicht vor dem Erdbeben in der Türkei zu sehen

Vor den Erdbeben in der Türkei soll ein seltsames Licht am Himmel erschienen sein. Das Video dazu ist veraltet und in Kasachstan entstanden.

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Nach Naturkatastrophen verbreiten sich häufig Falschinformationen im Internet – etwa nach den Waldbränden in Brasilien 2019 oder beim Hochwasser in Deutschland 2021. So auch aktuell nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien am 6. Februar, bei denen mehrere Zehntausend Menschen starben. In einem Video, das dazu geteilt wird, wird ein ballonförmiger Lichtkegel gefilmt, der angeblich kurz vor den Erdbeben in der Türkei am Himmel zu sehen war. Doch die Aufnahme ist alt und stammt aus Kasachstan, der Lichtkegel kein Vorbote der Erdbeben.

Es ist nicht die erste Aufnahme, die wir rund um die Erdbeben überprüft haben: In Sozialen Netzwerken verbreiteten sich mehrere Videos von einstürzenden GebäudenTsunamis oder Lichtern am Himmel, die eigentlich eine andere Situation zeigten. Manchmal wird in derartigen Beiträgen angedeutet, die Erdbeben seien kein natürliches Ereignis gewesen. Das stimmt so aber nicht: Seismologen und Forschende äußerten sich mehrfach zu den Ursachen der Erdbeben – sie entstehen durch den Zusammenstoß von Kontinentalplatten.

Ein Screenshot aus einem Video, das zeigt einen ballonförmigen Lichtkgegel am Himmel. Darüber steht: Before Turkey Earthquake
In Sozialen Netzwerken wurde in Zusammenhang mit den Erdbeben in der Türkei ein Video aus Kasachstan verbreitet (Quelle: Twitter; Screenshot und Schwärzungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Video wurde schon vor den Erdbeben in der Türkei verbreitet

Manchmal geht es bei solchen Falschbehauptungen darum, Reichweite zu generieren. Die Aufnahme mit dem Lichtkegel wurde allein auf Tiktok 200.000 Mal angezeigt, sie kursiert auch auf LinkedInTwitter, Telegram und Facebook. Diese Beiträge zeigen alle dasselbe Tiktok-Video.

Auffällig ist, dass in diesem Video zwei Benutzernamen eingeblendet werden – ein Zeichen dafür, dass eine Tiktok-Nutzerin oder ein Tiktok-Nutzer das Video heruntergeladen und auf dem eigenen Account noch einmal veröffentlicht hat.

Der erste, besser lesbare Name lautet @ghantagharkashmir. Dieser Account veröffentlichte das Video am Abend des 6. Februar 2023 – also am Tag der ersten Beben in der Türkei und Syrien. Dazu schrieb er auf Englisch: „People saw strange light in sky before Turkey Earthquake“ („Menschen sahen seltsames Licht am Himmel vor dem Erdbeben in der Türkei“). Kurz darauf veröffentlichte der Account ein weiteres Video, das ein einstürzendes Haus zeigt und in Wahrheit in Dschidda, Saudi-Arabien entstand.

Das Video mit dem Lichtkegel stammt aber eigentlich von einem Account mit dem Namen @altin1baklagov – das ist der zweite, schlechter lesbare Nutzername. Dieses Video wurde schon am 18. Januar 2023 veröffentlicht, also mehrere Wochen vor den Erdbeben in der Türkei und in Syrien.

Video entstand nicht in der Türkei, sondern in Kasachstan

Doch was zeigt die Aufnahmen dann? Durch eine Bilderrückwärtssuche finden wir einen Twitter-Beitrag mit demselben Video von Oktober 2022, wonach die Aufnahme den russischen Raketenstartplatz „Baikonur Cosmodrome – Southern Kazakhstan 06/10/2022“ zeigt. Das Kosmodrom Baikonur liegt im Süden Kasachstans.

Im Video ist das Licht aus der Ferne zu sehen, der Aufnahmeort muss also weiter entfernt von dem Raketenstartplatz liegen. Über die Bilderrückwärtssuche fanden wir einen Hinweis dazu: Schon am 25. September 2022 wurde das Video in einer Telegram-Gruppe veröffentlicht mit der Angabe, es stamme vom Tag davor und aus Balqasch, einer kasachischen Stadt, die 900 Kilometer Luftlinie östlich des Raketenstartplatzes liegt.

Ein Screenshot von Google Maps zeigt, dass Baikonur und Balgasch 929 Kilometer Luftlinie und 19 Stunden Autofahrt voneinander entfernt liegen.
Das Kosmodrom Baikonur, wo die Rakete startete, und der Ort Balqasch, an dem das Video aufgenommen wurde, liegen 900 Kilometer voneinander entfernt im Süden von Kasachstan (Quelle: Google Maps; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Der Aufnahmeort lässt sich über Google Maps verifizieren: Dass es sich um denselben Ort handelt, ist etwa an den Gebäuden im Hintergrund, an der Bushaltestelle und dem Geländer zu erkennen. Das Foto bei Google Maps ist wie das Video mit Blick Richtung Westen aufgenommen, also in jene Richtung, in der der Raketenstartplatz liegt. Das Video ist demnach nicht in der Türkei, sondern in Kasachstan entstanden.

Zwei Bilder im Vergleich: Sie zeigen den selben Ort, das wird etwa ein einer Bushaltestelle und einem Zaun klar.
Der Vergleich der Bushaltestelle, des Geländers und den Häusern im Hintergrund belegt, dass das Video den Ort Balqasch in Kasachstan zeigt (Quellen: Tiktok, Google Maps; Screenshots, Markierungen und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Video zeigt wahrscheinlich einen russischen Raketenstart im September 2022

Das Video kursiert mindestens seit September 2022 in Sozialen Netzwerken. Die Angaben, wann es entstanden sein soll, gehen auseinander. Eine Anfrage dazu von uns an die zuständige Abteilung der russischen Raumfahrtagentur Roscosmos, ​​Tsenki, blieb bisher unbeantwortet.

Eine Google-Suche auf Deutsch und Russisch nach Raketenstarts vom Kosmodrom Baikonur seit September 2022 liefert aber nur Ergebnisse zu einem bestimmten Ereignis: Am 21. September brachte eine Sojus-2-Rakete der russischen Regierung drei neue Besatzungsmitglieder zur Internationalen Raumstation, schreibt der Mitteldeutsche Rundfunk.

Drei Fotos, die ballonförmige Lichtkegel zeigen.
Der Lichtkegel auf dem Video (links) ähnelt dem auf anderen Aufnahmen, die ebenfalls den Raketenstart in Kasachstan zeigen (Quellen: Twitter, ixbt.com, inform.kz; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Auf mehreren Bildern, die den Raketenflug zeigen, sind ähnliche ballonartige Lichtschweife zu sehen. Einige der Fotos sind ebenfalls aus Kasachstan und aus mehreren hundert Kilometern Entfernung aufgenommen.

Seit den Erdbeben in der Türkei und Syrien am 6. Februar 2023 kursieren mehrere Aufnahmen, die angeblich Folgen der Katastrophe zeigen. Wir gehen potenziellen Falschmeldungen und Einsendungen dazu nach.

Redigatur: Paulina Thom, Sarah Thust

Korrektur, 20. Februar 2023: In diesem Text stand in einer Passage fälschlicherweise, das Video kursiere bereits seit September 2020, richtig ist aber der September 2022. Das war ein Tippfehler, wir haben diesen korrigiert.

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