Eine Audition in einem fast leeren Konzertsaal. Auf einem roten Plakat gegenüber der Bühne, hinter der zweiköpfigen Jury steht auf Usbekisch, in kyrillischer Schrift „Möge es unserer Mentalität entsprechen“. Es ist ein gespieltes Vorsingen für die Vergabe der notwendigen Lizenz, um auf Konzerten oder auch im Fernsehen aufzutreten. Der Leiter der Jury beginnt mit den Worten: „Das Hauptziel unserer Kommission ist es unseren Bräuchen, Sitten und Traditionen zu folgen. Außerdem verhindert sie die Verbreitung von Videoclips, die unseren Traditionen widersprechen, im Internet.“
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Der zweite Videoclip zum Lied „Sevgingni menga ayt“ (Usb.: „Sprich mir deine Liebe aus“) der Sängerin Lola Yo’ldasheva (bekannt als Lola) wurde am 13. November veröffentlicht. Er ist stark an das im Juli erschienene Musikvideo „Tebe 20“ (Rus.: Du bist 20) der ukrainischen Pop-Gruppe Agon angelehnt, gewinnt aber im usbekischen Kontext stark an Aktualität. So zeigt Lola gut sieben Minuten feine Satire der staatlichen Kontrolle über popkulturelle Inhalte in Usbekistan und der Sorge, Kultur solle stets ein Ausdruck „nationaler Mentalität“ sein.
Feine Anspielungen an die usbekische Kulturpolitik
Der Clip ist voller subtiler, vielschichtiger Symbolik. Infolge der Jurybemerkung „Was tragen Sie da für einen Hut?! Ihre europäische Kleidung entspricht nun gar nicht unserer Mentalität“ zieht Lola eine Papakha an, eine mitunter im Westen Usbekistans verbreitete Kopfbedeckung für Männer. Eine eingeblendete Werbung für der „Barbershop Topor“ (Rus.: Axt) weist auf den Generalverdachtgegenüber bärtigen Männern hin. Weitere Nebencharaktere im Publikum, wie der „Hater“ oder die zwei auf die Sängerin herabblickenden Frauen könnten die soziale Kontrolle über Musik und Kunst im Allgemeinen symbolisieren.
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Nachdem die Sängerin sich nach ihrem Auftritt einer vorbeilaufenden Hilfegruppe für „Frauen, die spirituelle Unterstützung brauchen“ anschließt, betritt ein auf den ersten Blick hyperkonformes junges Mädchen mit Zöpfen und nationaler Kleidung die Bühne und gibt mit ihrem allzu modernen Tanz der Jury den Rest. Diese gibt sich geschlagen und unterschreibt Lolas Lizenz.
Die Kommentare zum Youtube Video, das auf Lolas eigenem Kanal veröffentlicht wurde und aktuell knapp 350 000 Aufrufe aufweist, sind überwiegend positiv. „Ein guter Schlag ins Gesicht der ‚Lizenzierer‘ und Ma‘naviat-Prediger“(Man’aviat, ein usbekischer Begriff für „Spiritualität“, ist ein Leitmotiv der offiziellen Moralvorstellungen, Anm. d. Red.), schreibt zum Beispiel ein Nutzer. Oder ein anderer: „Der erste Clip in der usbekischen Estrada, der angenehm zu schauen ist“.
„Wir leben in einer Zeit des Wandels“
In Medienberichten wurde Lolas Clip als eine „Kritik an der Zensur“, eine „kunstvolle Spitze gegen die Kleiderkontrolleure des Staates“ oder als „Trolling, level 80“ gelobt. Die Sängerin selbst sträubt sich jedoch gegen eine allzu starke Politisierung ihrer Arbeit. In einem Post auf ihrem Instagram-Account ein paar Tage nach der Veröffentlichung des Videos kommentierte sie: „Ich bin eine kunstschaffende Person und Kunst ist ein Spiegel des Lebens. […] Wir leben in einer Zeit des Wandels, in der die Leute endlich freier atmen können und offen ihre Gedanken ausdrücken können, wovon wir noch vor fünf Jahren nicht zu träumen wagten“.
Wie das System früher aussah, hat Lola, die 2003 mit „Muhammatim“ (Usb.: Meine Liebe) ihren ersten Hit landete, unmittelbar erlebt. Im Jahr 2015 wurde ihr nach einem vermeintlich zu offenen Kleid bei einem Auftritt und einem zu provokanten Musikvideo zeitweise die Lizenz entzogen. Damals führten eine Reihe von Skandalen im Musikgeschäft auch zu einer Verschärfung der Erteilungsbedingungen für Lizenzen.
Die offiziellen Reaktionen auf ihre jetzige Satire fallen milder aus. Auf einer Pressekonferenz am 27. November wies der Leiter der heute für die Lizenzvergabe zuständigen Agentur O‘zbekkonsert Odiljon Abdkaxxorov lediglich darauf hin, dass seine Agentur nur Lizenzen für KünstlerInnen, nicht für Videoclips vergebe. „Lola hat den Clip als einfache Bürgerin des Landes gedreht, nicht als Sängerin“, erklärte er, und fügte hinzu, dass sie nach dem Ablauf ihrer Lizenz im Sommer 2018 keine Verlängerung beantragt habe.
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Auch Elmira Basitxanova, die Leiterin des usbekischen Frauenkomitees, die 2015 die Kritik an Lola mitangeführt hatte, gibt sich versöhnlicher: „Womöglich hat sie zurecht das System der Vergabe und Verteilung von Lizenzen durch O’sbekkonsert kritisiert. Aber dass sie aus dem Atlas (traditioneller usbekischer Stoff, Anm. d. Red.) eine Kleidung für Clowns macht und aus der Spiritualität ein Spielzeug, das ist zu viel (wörtlich: „das 25. Bild“, ein russischer Ausdruck für Methoden unterschwelliger Reize)“.
Lizenzen für PopmusikerInnen
Die in dem Videoclip kritisierte Vergabe von Lizenzen für Auftritte von PopmusikerInnen in Usbekistan wurde 2001 eingeführt und war eine Hauptaufgabe der 2017 aufgelösten Agentur O’zbeknavo, wie die Musikethnologin Kerstin Klenke in ihrem Buch über „Pop-Musik und Politik in der Karimov-Ära“ detailliert erläutert.
Die Lizenzen dienen nicht zuletzt auch der Besteuerung von MusikerInnen, die nach der Bezahlung der Lizenzgebühren von weiteren Steuern befreit sind. O’zbeknavo entwickelte sich aber auch schnell zu einer Art Moralinstanz und die Lizenzverträge beinhalteten auch ein vages Verbot, Werke vorzutragen, die „unseren nationalen und menschenübergreifenden spirituellen Werten widersprechen“. Die offiziellen Formeln der Instanz finden sich auch fast eins zu eins im Clip wieder.
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Im Februar 2017, kurz nach seinem Amtsantritt, löste Präsident Shavkat Mirziyoyev die für Musik und Tanz verantwortlichen Agenturen O’zbeknavo und O’zbekraks auf und gründete an ihrer Stelle das dem Kulturministerium unterstehende O’zbekkonsert. In alter Tradition veröffentlichte die neue Organisation aber ebenfalls Verhaltensregeln, so wurde zum Beispiel 2018 die Darstellung von Tattoos und aufreizenden Kleidern in Videoclips verboten.
Nichtsdestotrotz scheint die popkulturelle Produktion in Usbekistan in den letzten Jahren offener als zuvor. So sind zum Beispiel musikalische Subkulturen wie Rap oder Elektromusik aktiver als zuvor, wie die Organisation des Musikfestivals „Stihiia“ an der Stelle des ehemalige Aralsees bezeugt. Bereits der erste Clip zu Lola’s „Sevgingni menga ayt“ hätte noch vor ein paar Jahren in der Form nicht gedreht werden können, als Aufnahmen in der Taschkenter U-Bahn noch streng verboten waren.
Florian Coppenrath
Novastan.org