Unerwünschte Exporte nach Russland: Wenn der Kühlschrank via Kasachstan geliefert wird

Viele westliche Unternehmen sind nicht mehr im Russland-Geschäft, Deutsche Hausgeräte oder Adidas-Turnschuhe gelangen trotzdem nach Moskau - den Unternehmen sind die Hände gebunden. Die Bundesregierung will gegen Grauimporte, die auf Sanktionslisten geführte Hightech-Produkte betrifft, wirksamer vorgehen.

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Auf den ersten Blick ist das Angebot so groß wie immer: Supermarkt im Aviapark-Einkaufszentrum in Moskau. © Quelle: picture alliance/dpa

Gelegenheiten, gute Nachrichten zu verkünden, bieten sich dem russischen Präsident Wladimir Putin derzeit nicht viele. Mitte April ließ er es sich daher nicht nehmen, seinen Landsleuten mitzuteilen, dass man die wirtschaftliche Prognose für die russische Volkswirtschaft angehoben habe. „Die russische Wirtschaft entwickelt sich im Rahmen des neuen Wachstumsmodells aktiv“, zitierte ihn die Tageszeitung „Kommersant“. Putin fügte noch hinzu, dass besonders die Umsätze im Einzelhandel stark zulegten – trotz westlicher Sanktionen.

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Um 0,1 bis 0,2 Prozent wachse die russische Wirtschaft, konkretisierte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow. Dabei hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) der russischen Wirtschaft noch im Juli 2022 einen Einbruch um 3,5 Prozent prophezeit.

Aus Coca Cola wurde „Dobrij Cola“ – die „nette Cola“
Und für die Moskauer, die sich im Globus-Hypermarkt in der riesigen Salaris-Mall am Stadtrand mit Lebensmitteln eindecken, hat sich in an dem großen Warenangebot auf den ersten Blick auch kaum etwas verändert. Auf den zweiten schon: Coca-Cola gibt es nicht mehr, dafür in farblich fast identischen Dosen Dobrij Cola, die „nette Cola“, deren Geschmack aber kaum vom amerikanischen Original zu unterscheiden sei, berichtet Paul Katzenberger, Russland-Korrespondent des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Auch das Beck’s Blue, das alkoholfreie Bier des Bremer Brauers, gibt es im Getränkemarkt um die Ecke nicht mehr. Dafür bekommt man im Biosupermarkt ein paar Straßen weiter das alkoholfreie Indian Pale Ale (IPA) der russischen Gokowskaja-Brauerei.

Adidas im Einzelhandel noch erhältlich
Ein Team der Yale School of Management listet in einer Datenbank weltweit über 1000 Unternehmen auf, die in Russland weiter aktiv sind. Doch auch Produkte von Unternehmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben, sind in Russland weiterhin erhältlich, wenn auch gegen Aufpreis.

Beispiel Adidas-Schuhe: Der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach hat seine eigenen Läden in Russland zwar dichtgemacht und den Onlinehandel dort eingestellt. Aber im russischen Einzelhandel und E‑Commerce sind die Artikel mit den drei Streifen noch zu bekommen.

Parallelimporte, auch Grauimporte genannt, machen es möglich. Zwar gingen deutsche Warenexporte nach Russland im Februar 2023 um 60,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf rund 800 Millionen Euro zurück. Gleichzeitig legten die deutschen Ausfuhren in Länder wie China, Belarus, die Türkei, Kasachstan, Kirgistan, Armenien und Usbekistan exorbitant zu, wie eine Studie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) sowie die der US‑Denkfabrik Silverado belegt.

Auf diesem Weg gelangen viele Produkte der Hochtechnologie, die auf Sanktionslisten geführt werden, nach Russland, zum Beispiel Computerchips für die Verteidigungstechnik. Aber eben auch ganz einfach Konsumartikel wie Autos oder Kühlschränke bis hin zu Haribo-Gummibärchen oder Jägermeister-Kräuterlikör, die auf keiner Sanktionslisten auftauchen, deren Verkauf nach Russland Unternehmen aber nicht mehr wollen.

Importe über Armenien oder Kasachstan
Das läuft so: Unternehmen in Armenien oder Kasachstan führen deutsche Waschmaschinen der Marke Miele ein und liefern sie anschließend weiter nach Russland. Das ist etwas aufwendiger, der höheren Transportkosten wegen, kostet aber keine zuzüglichen Zölle, weil viele der genannten Länder Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion (CCA3) sind und ähnlich wie EU‑Staaten untereinander zollfrei handeln. Einem Unternehmen wie Miele sind in diesem Fall die Hände gebunden – es sei denn, es würde den Vertrieb über jene autorisierten Großhändler in den Drittstaaten beenden, die offensichtlich Produkte nach Russland weiterleiten.

Wir haben die Hoffnung, dass das, was wir an Regeln haben, beachtet wird.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Dass es diese Importe gibt, ist kein Geheimnis: „Wir haben die Hoffnung, dass das, was wir an Regeln haben, beachtet wird“, sagte unlängst Bundeskanzler Olaf Scholz in die Richtung seines Gastes, des armenischen Premierministers Nikol Paschinjan. Der lächelte freundlich und sagte: „In der ganzen Welt verändern sich die Zahlen, und auch die Logistikketten verändern sich.“ Und weiter: „Legalität ist uns sehr wichtig.“

Habeck will die Lücken schließen
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will diese Lücken im System komplett schließen. Als Anfang März das zehnte Sanktionspaket gegen Russland auf den Weg gebracht wurde, kündigte er zusätzlich Maßnahmen gegen die Parallelimporte an. Mit einer „Endverbleibserklärung“ soll erreicht werden, dass gelieferte Waren im Zielland auch tatsächlich ankommen und bleiben. Außerdem sollen Unternehmen in diesen Ländern noch konsequenter auf eine schwarze Liste kommen, wenn sie sanktionierte Waren nach Russland weiterverkaufen.

„Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das vor allem einen Zweck hat: die Einfuhr der sanktionierten Waren in Russland ineffizient, aufwendiger und damit teurer zu machen, sodass es sich irgendwann nicht mehr lohnt“, sagt der Volkswirtschaftler Michael Rochlitz von der Universität Bremen dem RND.

„Das Netz wird immer lückenloser. Hier kommt es nun vor allem darauf an, Staaten wie Kasachstan, Georgien oder Armenien in die Pflicht zu nehmen“, so Rochlitz.

Für Unternehmen wie Mercedes-Benz oder Bosch ergibt sich ein enormer Imageschaden, wenn zum Beispiel plötzlich Bosch-Bauteile in russischem Kriegsgerät auftauchen.
Volkswirtschaftler Michael Rochlitz von der Universität Bremen

Ist das nicht für deutsche Unternehmen ein lukratives Geschäft, wenn sie vordergründig Sanktionen einhalten, aber machtlos sind, wenn ihre Produkte über Grauimporte den russischen Endverbraucher erreichen? „Nur scheinbar ist das so. Denn für Unternehmen wie Mercedes-Benz oder Bosch ergibt sich ein enormer Imageschaden, wenn zum Beispiel plötzlich Bosch-Bauteile in russischem Kriegsgerät auftauchen. Außerdem drohen den Unternehmen Strafzahlungen“, so der Russland-Experte Rochlitz.

Schrumpfung auf das Niveau des Irans und Nordkoreas
Ganz grundsätzlich hält Rochlitz die Sanktionen für sehr wirkungsvoll – auch wenn sich der Kreml bemüht, das Gegenteil zu behaupten. „Ihren Wirtschaftszahlen ist nicht zu trauen. Eine schnelle Wirkung der Sanktionen war ohnehin nicht zu erwarten, aber langfristig sind sie sehr wirkungsvoll. Die Zukunftsfähigkeit der russischen Wirtschaft ist weggebrochen. Im IT‑Bereich, auch was künstliche Intelligenz (KI) und Quantencomputing betraf, wo Russland Zukunftschancen hatte, haben sie nun komplett den Anschluss verpasst.“

Das holen die auch nicht wieder auf, ist der Volkswirt überzeugt. Und der „Brain Drain“, der Abfluss von hochqualifizierten Fachleuten, ist enorm. „Russland war da auf Augenhöhe mit dem Westen – jetzt schrumpft man im Eiltempo auf das Niveau des Iran, Venezuelas, Kubas oder Nordkoreas. Nordkorea hat sehr lange mit Sanktionen überlebt, nur zu welchem Preis?“, fragt Rochlitz.

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