Rekrutierung in Tadschikistan: Problem für Behörden, Hölle für Soldaten

ENTSCHLÜSSELUNG. Die Rekrutierung tadschikischer Soldaten stellt für die Behörden jedes Jahr ein großes Problem dar. Neben der veralteten und willkürlichen Rekrutierungskampagne kommt hinzu, dass die Männer immer weniger zum Dienst bereit sind und sogar das Land verlassen, um sich dem zu entziehen. Denn Desertation bedeutet, vor der schlechten Behandlung in den Reihen der Armee zu fliehen.

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Die tadschikische Armee rekrutiert zweimal im Jahr ihre Angehörige (Symbolbild)
Die tadschikische Armee rekrutiert zweimal im Jahr ihre Angehörige (Symbolbild)

Alles beginnt normalerweise in den ersten Frühlings- oder Herbsttagen. Die angehenden Soldaten werden aufgefordert, sich bei den Behörden zu registrieren, um ihren zweijährigen Wehrdienst abzuleisten. Dieser ist in Tadschikistan für Männer zwischen 18 und 27 Jahren obligatorisch. Wie das tadschikische Nachrichtenportal Asia-Plus berichtet, sind offiziellen Daten für 2019 zufolge rund 600.000 junge Männer im wehrpflichtigen Alter. Davon sind 150.000 nicht diensttauglich und weitere 100.000 befinden sich außerhalb des Landes. Jedes Jahr können nur 15-16.000 Rekruten für den Bedarf der tadschikischen Streitkräfte einberufen werden.

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Das Verfahren verläuft jedoch nie wie geplant. Am 1. April dieses Jahres berichteten lokale Medien über Probleme bei der Rekrutierung junger Menschen. Radio Ozodi erklärte beispielsweise, dass im Bezirk Wachsch eine zufällige Auswahl stattgefunden habe, um diejenigen zu bestimmen, die zur Armee gehen sollten. Auch die Provinzen Sughd, Chatlon und die Gebiete im Raschttal berichten von Druck auf die Eltern von Jugendlichen im wehrpflichtigen Alter.

Ein Bewohner des Bezirks Chorugh wurde am 1. April mit einem Jahr Gefängnis bestraft, weil er sich der Wehrpflicht entzogen hatte, berichtet das zentralasiatische Medium Kokshetau. „Nachdem er eine Vorladung des Militärkommissariats und wiederholte Einladungen der entsprechenden Strukturen erhalten hatte, entzog er sich absichtlich der Einberufung zu einem zeitlich begrenzten Militärdienst“, erklärte die Staatsanwaltschaft.

Jedes Jahr kommt es zu solchen Problemen, die unter jungen Tadschiken im wehrpflichtigen Alter eine Panikwelle auslösen. Die Rekrutierungskampagnen werden oftmals willkürlich durchgeführt, wobei nie alle Bürger gleichbehandelt werden. Dies hat ernsthafte Auswirkungen auf die Streitkraft des Landes.

Angst vor Schikanen und schlechten Bedingungen
Die Abneigung der tadschikischen Bürger, in der Armee zu dienen, beruht auf den schlechten Bedingungen, die sie erwarten. Dazu gehören Nahrungsmangel, Probleme mit den Militäruniformen sowie minderwertige Kleidung, bei der teils nicht einmal die Größe passt. Das schwerwiegendste Problem, auf das insbesondere die tadschikische NGO „No Torture“ immer wieder hinweist, ist jedoch die Praxis der Schikanierung.

„No Torture“ hat zwischen 2014 und 2016 59 Fälle von Folter an Militärangehörigen dokumentiert. Elf von ihnen erlagen laut einem Artikel von Radio Ozodi den Verletzungen, während die Fälle von Selbstmord unter Wehrpflichtigen während des Dienstes ebenfalls nicht unerheblich sind.

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Die tadschikische Regierung selbst hat in einem Bericht an den UNO-Menschenrechtsausschuss angegeben, dass zwischen 2019 und 2021 mehr als 100 Soldaten getötet wurden, hauptsächlich aufgrund von Schikanen.

Angesichts der Gewalt in den Reihen der Armee entschädigt der tadschikische Staat jedoch weder die Opfer noch ihre Angehörigen. 2014 wurde etwa ein 22-jähriger Soldat von seinen Kameraden so sehr misshandelt, dass er dadurch bleibende Schäden erhielt. Sein Anwalt verlangte, dass die Armee rund 278.000 Somoni (ca. 23.000 Euro) zahlt, doch das Opfer erhielt nicht einmal einen Fünftel der Summe, berichtet das russische Medium Sputnik.

Gewaltsame Rekrutierungsmethoden
Die Gewalt bei der Rekrutierung für den tadschikischen Militärdienst gipfelt in der Organisation von Razzien durch die Behörden, bei denen junge Männer plötzlich abgeholt und zu ihrem Dienstort gebracht werden. Eurasianet beschreibt, wie Autos gar vor Schulen warten, um wehrpflichtige Männer mitzunehmen. Die Wagen können oft nicht dem Amt für militärische Registrierung und Einberufung oder zu anderen staatlichen Institutionen zugeordnet werden, merkt Cabar Asia an.

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Die Behörden gehen zum Teil noch weiter und verlangen von den Familien junger Menschen, die nach Russland ausgewandert sind, deren Rückkehr nach Tadschikistan zur Leistung des Militärdienstes. Anderenfalls müssten sie mit Sanktionen rechnen. Tadschikische Migrant:innen stellen eine beträchtliche Diaspora in Russland dar, die 2021 auf 2 Millionen angestiegen ist.

Allein im Jahr 2022 wurden 108 junge Männer strafrechtlich verfolgt, weil sie sich gemäß der Generalstaatsanwaltschaft dem Militärdienst entzogen hatten, erklärt Radio Ozodi. Ende letzten Jahres entfachte die Rekrutierung in Tadschikistan erneut eine Kontroverse, nachdem die örtlichen Behörden den Strom abgeschaltet sowie Moscheen geschlossen hatten, um Familien zum Eintritt ihrer Söhne in die Armee zu zwingen, erklärt ein Bericht von Radio Free Europe.

Rechtsunsicherheit und Korruption in der Verwaltung
Die Einberufung zur Armee in Tadschikistan offenbart jedes Jahr die Probleme, die Tadschikistan durchziehen, nämlich Korruption und Ungleichheit. So stehen die Behörden, die für die Rekrutierung der jungen Männer zuständig sind, im Verdacht, Bestechungsgelder zu verlangen, um sie für untauglich zu erklären.

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Der Artikel von Cabar Asia zeigt, dass es Männer aus den unteren und prekären Schichten Tadschikistans sind, die zwangsrekrutiert werden. Im Gegensatz zur Elite, die sich dem leichter entziehen kann. „Wenn die Saison der Wehrpflicht wirklich fair wäre, also alle jungen Männer ohne Ausnahme einbeziehen würde, würde die Elite des Landes das Problem innerhalb weniger Wochen lösen. Aber eine zu große Kluft zwischen der Elite und jungen Männern aus gewöhnlichen Familien verschärft das Problem von Missverständnissen und Ressentiments nur noch mehr“, analysiert der Autor des Artikels.

Tadschikische Armee kleinste in Zentralasien
Die schlechten Bedingungen der Vorberufenen und Wehrpflichtigen in der tadschikischen Armee sind eine der Schwachstellen seiner Streitkräfte. Das Land scheint den Preis dafür zu zahlen, indem es laut dem Indikator Global Fire Power die niedrigste Truppenstärke aller zentralasiatischen Länder aufweist. Tatsächlich erreicht das Militärpersonal im Jahr 2023 15.000 Personen, während sein bevölkerungsärmerer Nachbar Kirgistan mit insgesamt 25.000 Personen deutlich darüber liegt.

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Das intensive Wiederaufflammen der Konflikte mit Kirgistan in den letzten Jahren hält immer mehr tadschikische Bürger davon ab, in der Armee zu dienen, da sie befürchten, zur Verteidigung der unsicheren Grenzen mobilisiert zu werden. Tatsächlich kam es seit 2021 häufiger zu Grenzkonflikten zwischen den beiden Ländern, was auf die Militarisierung der Grenzen auf beiden Seiten zurückzuführen ist. Im Mai 2021 wurde ein 19-jähriger tadschikischer Grenzsoldat verletzt und auch der bewaffnete Konflikt im September 2022 erwies sich als einer der tödlichsten, mit über 100 Toten auf beiden Seiten.

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Obwohl Tadschikistan neben Armenien, Russland, Kirgistan und Kasachstan Teil der regionalen Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) ist, hat die Struktur in letzter Zeit mit dem Wiederaufflammen der Konflikte an der tadschikisch-kirgisischen Grenze keine Effizienz erkennen lassen. Schließlich sorgt die Nachbarschaft zu Afghanistan sowie die islamische Bedrohung an den Grenzen weiterhin für Besorgnis, was die Begeisterung der Bürger für den Beitritt zur Armee nicht vergrößert.

Emma Collet, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Michèle Häfliger

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