Zwischen Russland und China: Wie Kasachstan seinen Platz auf der Weltkarte beansprucht

In der kasachischen Hauptstadt findet ein internationales Forum statt, das die gewachsene Bedeutung Kasachstans als aufstrebende Mittelmacht zeigt. Ein Bericht aus Astana.

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Am heutigen Donnerstag begann das Astana International Forum (AIF), das globalen Mittelmächten als Plattform dienen soll, eigene Ansichten und Positionen zu den brennenden Fragen der Zeit zu diskutieren und eigene Lösungsansätze jenseits der Vorgaben der alten und neuen Supermächte zu konzipieren.

Kasachstan als größter Binnenstaat und neuntgrößter Staat der Welt, mit gemeinsamen Grenzen zu Russland und zur Volksrepublik China sieht sich als geeigneter Austragungsort für dieses Forum an, welches unter der Ägide von Präsident Kassym-Schomart Tokajew steht.

Trotz einer beispiellosen Hitzewelle, welche die kasachische Hauptstadt dieser Tage heimsucht, herrscht in Astana zur Stunde hektische Betriebsamkeit. Zum Astana International Forum, das bis zum morgigen Freitag andauert, sind über hundert Redner und Diskussionsteilnehmer aus 70 Ländern angereist.

Die Themengebiete, die auf der globalen Agenda weit oben stehen, sind auch in Astana präsent: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklung und Nachhaltigkeit, Energie und Klimawandel, Wirtschaft und Finanzen. Weit über tausend Teilnehmer werden erwartet, darunter Staatsoberhäupter, Vertreter von internationalen Organisationen und NGOs sowie hochkarätige Experten aus den auf der Konferenz angesprochenen Themengebieten.

Der Emir von Katar gehört zu den hochrangigen Gästen und wurde von Präsident Tokajew vor dem Veranstaltungsort ebenso persönlich begrüßt wie der Präsident der Kirgisischen Republik, Sadyr Dschaparow, die Vorsitzende des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, Željka Cvijanović, sowie Helga Maria Schmid, Generalsekretärin der OSZE.

Der CNN-Star-Moderator Richard Quest eröffnete das Forum, der US-amerikanische Fernsehsender fungiert als einer der Organisatoren der Veranstaltung, bevor er das Wort dem Präsidenten Kasachstans übergab, der im akzentfreien Englisch und mit Nachdruck die Notwendigkeit, die Stimmen der Mittelmächte zukünftig deutlicher zu vernehmen, angesichts der globalen Spannungen.

Tokajew weiß, wovon er spricht, denn Kasachstan wurde nicht nur von schweren innenpolitischen Unruhen erschüttert zu Beginn des vergangenen Jahres, was ihm am Vorabend des Kriegsausbruchs in der Ukraine im Westen zunächst den Vorwurf einbrachte, ein autoritärer Herrscher zu sein.

Kasachstan will sich nicht an der westlichen Sanktionspolitik gegenüber Russland beteiligen
Seitdem ist Kasachstan in seiner internationalen Rolle nach rund 15 Monaten tiefgreifender historischer Umwälzungen als Nachbarstaat der Volksrepublik China und Russlands sowie deren Konflikten mit dem Westen ständigen Herausforderungen ausgesetzt, die zahlreiche Risiken, aber auch Chancen für das Land bieten.

Präsident Tokajew ließ es sich daher nicht nehmen, nicht nur Kasachstans Rolle innerhalb des Seidenstraßen-Projektes zu würdigen, sondern darüber hinaus das geopolitische Konzept des „Mittleren Korridors“ ins Gespräch zu bringen, einer riesigen Handelsroute, die in Südostasien starten und über China quer durch Kasachstan, das Kaspische Meer, Aserbaidschan und Georgien in Richtung Europa verlaufen soll.

Ähnlich hatte sich schon am Tag zuvor der kasachische Wirtschaftsminister Alibek Kuantrow vor Journalisten geäußert.

Auch er pries das Konzept des „Mittleren Korridors“ als strategischen Entwurf, der sowohl die Position Kasachstans festigen wird, als auch die Stabilität der Region und der Welt absichern könnte, da dieses darauf abzielt, China über See- und Eisenbahnlinien unter Umgehung Russlands mit Europa zu verbinden.

Der kasachische Wirtschaftsminister nannte dieses Projekt „eine entscheidende Verkehrsader“ für den Güterverkehr. In den 32 Jahren seiner Unabhängigkeit hat Kasachstan etwa 410 Milliarden Dollar an Investitionen von ausländischen Unternehmen angezogen und dadurch seine Politik geändert, flankiert von dem Ziel, die ausländischen Direktinvestitionen zu erhöhen.

Der 1983 geborene Politiker stellte ferner fest, dass man in Europa nach seiner Auffassung die Bedeutung von Kasachstan inzwischen erfasst hat, dieses sei insbesondere nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine geschehen, so Kuantyrov Alibek.

Noch einmal betonte der Minister vor der internationalen Presse, dass Kasachstan sich nicht an der westlichen Sanktionspolitik gegenüber Russland beteiligen will – noch wird.

Die EU ist in Astana nicht vertreten
Wenige Stunden zuvor hatte der stellvertretende Außenminister Roman Wassilenko auf die Frage einer Medienvertreterin geantwortet, dass Kasachstan durchaus den Brics-Staaten beitreten würde, wenn von dort eine Einladung vorliegt. „Wir arbeiten daran, die wirtschaftliche und die politische Stellung Kasachstans in der Welt zu verbessern“, sagte Wassilenko und wies darauf hin, dass Astana erst vor kurzem – am 19. Mai – ein Abkommen mit der EU unterzeichnet hat, indem die Umsetzung einer Anzahl von Projekten in verschiedenen Sektoren im Gesamtwert von neun Millionen Euro angestrebt wird.

Gerade deshalb zeigte sich ein Mitarbeiter des Ministers darüber erstaunt, dass die EU nicht in Astana vertreten ist. Am morgigen Freitag wird der amerikanische Star-Ökonom Nouriel Roubini in Astana sein neues Buch über Kasachstan vorstellen.

Roubini, der als einer der wenigen Wirtschaftswissenschaftler von Weltrang einst die Finanzkrise von 2008 vorhersah, hat sein Buch „The New Kazakhstan: Steering the Steppe Amid a Global Storm“ genannt, also „Das neue Kasachstan. Die Steppe lenken, inmitten eines globalen Sturms“. Die Metapher von der Steppe wird in Kasachstan keineswegs als herablassend angesehen, sondern eher als Auszeichnung.

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